„Wir Kinobetreiber müssen digitaler Denken!“

Impuls

Dieses Zitat von Dr. Thomas Negele (HDF KINO-Vorstand) vom gestrigen ersten Tag des alljährlichen Kinokongress‘ in Baden-Baden habe ich immer noch im Ohr. Ich bin mir nicht sicher, ob das Zitat als eine Vision gedacht war oder eher nebensächlich als ein verstecktes Credo?

Als „Digital Native“, „Bewegtbild-2.0-Producer“ und fleißiger Kinogänger machte ich mich gestern auf die Expedition Kinokongress. Am Ende des Tages verließ ich Baden-Baden mit dem Gefühl als einsamer Rufer am (anderen) digitalen Ufer zu stehen.

Vom Programm her begann der Tag mit einem sehr mutigen Vortrag: Moving Pictures – From Social Web to Outernet. Norbert Hillinger, Director TrendONE Berlin und Leiter der Digital Entertainment Trend Unit bei TrendONE, spricht über Kino- und Filmtrends in der Medienevolution: „Die Zukunft des Bewegtbilds hat mit dem Social Web begonnen und führt die Entertainmentindustrie nun ins Outernet. Das Internet explodiert auf die Straße. Die ganze Welt wird zum Hyperlink und für die Unterhaltungsbranche ergeben sich dadurch bisher nicht wahrgenommene Möglichkeiten für Marketing, neue Businessmodelle und Services. Wir laden Sie ein zu einer multimedialen Trendreise: Jump into the Outernet!“

Die wenigen verbliebenen Gäste im großen Auditorium begannen diese Art von medialer Realität mit Humor, dem Zugeben von Überforderung und Schockstarre zu kommentieren. Somit war der erste Versuch „digitaler zu denken“ ohne nachhaltige Wirkung. Im Foyer wurde ich dann allerdings von der iPhone-Flut überrascht. Somit ist diese mobile Webwelt anscheinend doch den Besucherinnen und Besuchern vertraut – nur konnte der mentale Schalter noch nicht umgelegt werden, dass dieser mobile Bildschirm in Konkurrenz zur großen Leinwand steht bzw. als Partner für lokalen Kinocontent gewonnen werden könnte.

Das digitale Denken wurde dann erneut von uns eingefordert als es um die Präsentation des technischen Systems zum Vertrieb von digitalem Content ging: DCP-Germany: Die Branchenlösung von Kinobetreiber für Kinobetreiber: „Welche Technik und welches Geschäftsmodell stecken dahinter? Was sind die Vorteile für das Kino und die Kinobranche? Erste Erfahrungen in Testkinos.“ Referent: Richard Kummeth (DCP-Germany GmbH)

Die Vordenker haben saubere Arbeit geleistet. Die Abläufe ergeben alle Sinn und wurden durch den Neu-Gesellschafter „Fraunhofer“ belohnt. Aber: Die digitale Welt besteht noch aus viel mehr Bewegtbild-Content, der vielleicht nach einer Aufarbeitung ebenfalls auf der Kinoleinwand gezeigt werde könnte: „User Generated Video“ mit Handy, Kamera etc. werden – und da bin ich mir 100% sicher – eine lokale Möglichkeit sein, Publikum vor Ort an die Kinos zu binden.

Mir liegen digitale Werbespots etc. von Kunden vor, die wir primär für YouTube produziert haben, die aber auch für die digitale Kinoleinwand geeignet sind. Ich will damit sagen: Lokaler Content liegt vor – wie lässt dieser sich in das System einspeisen?

Wie schützen sich nun die Premium-Content-Lieferanten gegen den digitalen Trend? Mit der eingeforderten digitalen Nacktheit aller Kongress-Gäste vor den Trailer-Rollen-Präsentationen! Wie in Trance gaben alle Gäste widerstandslos (ich auch!?) ihre mobilen Geräte vor dem Betreten des Auditoriums ab und wurden anschließend noch per Nachtsichtgerät weiter beobachtet. In der heutigen medialen Realität muss Premium-Content anscheinend so viel wert sein, dass er wie in einem Hochsicherheitsgefängnis geschützt werden muss.

Was wäre wenn? Die gezeigten Trailer werden in Kürze überall verfügbar sein. Ich hätte gerne meinem kino-affinen Netzwerk einige Filme bewegtbild-artig ans Herz gelegt. Kann nun leider nicht – da die Vorkehrungen der „Großen“ es nicht zuließ (P.S. Bei dem Einsatz von Finanzmittel für die Produktion ist mir der Vorwand im Ansatz verständlich).

Mein Fazit: Kino hat Zukunft – auch Dank der Digitalisierung. Aber Kino hat seine exklusive Leinwand-Garantie verloren. Die neuen Leinwände tragen wir mit uns herum. Somit entsteht auch neuer Content, der es wert sein kann, auch einmal den Weg auf die große Leinwand zu finden. Nur die „mentale Gefangenschaft“ der handelnden Personen trübt ein wenig meine positive Grundstimmung. Und als Bonus bekommen wir dann noch den Premium-Content aus Hollywood oben drauf. Danke dafür! 🙂


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