re:publica XI oder die Suche nach dem deutschen Ego

Impuls, re:publica

Meine erste re:publica ist rum und einige Eindrücke gilt es nun zu verarbeiten und einzuordnen. Am ersten Tag beschlich mich sehr stark das Gefühl, dass viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer körperlich zwar anwesend waren, aber der Drang eine Verbindung zum Internet herzustellen wichtiger erschien, als den analogen Speakern zu folgen. Das eigentliche Ankommen der Gäste erschien mir somit erst am zweiten Tag der Fall gewesen zu sein, als man aufgrund der Infrastruktur sich mit dem Offline-sein abgefunden hatte.

Für mich stand das Zuhören, das Wirkenlassen und das Einordnen im Mittelpunkt der ersten Hälfte der re:publica. Und ich stellte fest, dass die eigentlichen gedanklichen Impulse nicht von deutschen Speakern kamen, sondern von den Gästen aus der Welt. Die Blogger aus Afrika oder Programmierer aus USA waren mental Champions League – viele deutsche Beiträge eher 2. Liga (leider habe ich Sascha Lobo verpasst.).

Meine zweite Hälfte der re:publica war nun geprägt nach meiner Suche nach dem Warum, der Ursachenforschung für den deutschen Kleingeist. Ich erkannte sehr schnell, dass wir Deutsche im Web sehr stark als Bewertungsrichter/innen auftreten – damit meine ich, dass einer Idee, Initiative, Personen sehr schnell eine emotionalisierende Meinungswelle von leserbriefartigen Kommentaren entgegenschwappt. Der eigentliche Dialog auf Augenhöhe scheint nur vereinzelt stattzufinden.

Es wurde sich mental sehr viel in der Vergangenheit aufgehalten. Vielleicht ist aber diese Art von therapeutischem Analogdialog auch nötig, um sich den Ballast von der Seele zu reden? Oft suchten Teilnehmende von Podiumsdiskussionen eine Bestätigung ihrer eigenen Meinung aus dem Plenum. Leider tauchten Visionen, wie man die Welt mit dem Internet von Deutschland aus verbessern könnte, kaum bis gar nicht auf.

Vielleicht waren sogar Visionäre im Publikum und schützten ihre Vision und ihr Ego vor einer Enttäuschung, weil man davon ausging, dass die anwesende Mehrheit über einen herfallen oder die eigenen Ideen evtl. nicht begreifen könnte?

Neben Medienkompetenz sollten wir ab sofort auch eine Egokompetenz aufbauen. Egokompetenz definiere ich als die Fähigkeit, seine analoge und digitale Identität zu synchronisieren. Da z.Zt. aber eher Egotaktik (Kurzbesuch Renate Künast) vorgelebt und schließlich imitiert wird, steht uns in der Selbstwahrnehmung eines jeden und einer jeden die größte Hürde bevor.

Anstatt an einem gemeinsamen Web-Selbst zu stricken, stand die Tage über die Systemkritik der erwachsenen Offliner im Mittelpunkt, deren Egoverhalten von einigen Teilnehmenden wunderbar imitiert wurde. Körperliche – aber nicht geistige – Präsenz auf der re:publica als Egoprofilierung? – ich hoffe in meinem tieferen Inneren, mich zu täuschen!

Haben wir uns verloren in der Medienwelt? Gibt es sie, die Anker zurück in die Realität?

Ein Weg könnte das Trainieren des eigenen Geistes im Sinne der Aufklärung sein. Ein bewusstes Wahrnehmen der Umwelt und seiner Mitmenschen – ohne eine Technik dazwischen. Keine technische Barrieren im Miteinander, sondern der analoge Kontakt als hohes Gut.

Das Erlernen des kritischen Zuhörens. Das Austauschen von unterschiedlichen eigenen Standpunkten. Das Formulieren einer eigenen Meinung, die man als Anwalt in das analoge und digitale Netzwerk trägt und gemeinsam weiterentwickelt. So würden auch in Deutschland Ideen und Visionen mit einer gewissen Strahlkraft entstehen. Es darf auch den meinungsführenden Webleuchtürmen gerne einmal widersprochen werden.

Netzwerke helfen, um sogar etablierte Institutionen und System zu erziehen und für diese neuen Ideen zu begeistern – der Tweet der UN bzgl. der Krisenkarten von Libyen hat es bewiesen. Diese Systeme sind lernfähig – lasst uns auf diese zugehen und sie einladen zum Dialog!

Auf der kommenden re:publica sollte der Dialog mit der „Entscheidungsträger-Lobby in Anzügen“ begonnen werden, um die Binnenkommunikation der Web-Community zu unterbinden. Die Diskussion muss von uns mit dem Mainstream geführt werden, sonst werden wir mit unserem deutschen Nicht-Ego irgendwann von Nordafrika, Indien & Co. als Web-Freigeister überrannt.


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